Dichter und Fürsten – Teilnahme am Ciceroneprogramm in Weimar
„In Weimar, da ist’s schön,“ deklamierte Goethe 1825 in seinem Gedicht „Die Lustigen von Weimar“. Meine Teilnahme am „Studium Generale“ im Ciceroneprogramm der Klassik Stiftung Weimar im Sommer 2016 war eine Einladung, diese Aussage zu überprüfen. In den Fußspuren Goethes wandelnd, konnte ich (Johannes Leitgeb, Q12) mich zwei Wochen lang der Schönheit und vor allem der Vielschichtigkeit der Kulturmetropole hingeben.
Vor dem Deutschen Nationaltheater und gegenüber des Bauhausmuseums stehe ich, während mir mehrere Leute Anweisungen zurufen: „Dein Kopf muss höher, du musst in die Ferne schauen!“ Neben mir steht ein weiterer Junge, in ähnlicher Pose drapiert. Hinter uns stehen zwei Männer, in einer freundschaftlichen Geste versunken, während sie doch ihre unterschiedlichen Charaktereigenschaften betonen. Ihre Namen sind Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich von Schiller. Die Aufgabe der beiden jungen Menschen ist, die Abbilder der beiden Dichter auf dem Theaterplatz nachzuahmen. Die Schwierigkeit ist, dass die beiden Darsteller die Pose nicht selbst imitieren, sondern von 23 anderen Kursteilnehmern aus ganz Deutschland dirigiert werden. Diese Episode steht stellvertretend für die Methode des „Studium Generale“: Die Teilnehmer können einen Blick auf die Kultur werfen, der alternative Perspektiven und fächerübergreifendes Lernen umfasst. Das Ziel ist es dabei, kulturelle Stätten in das Licht der Aktualität und der Lebendigkeit zu rücken. Mein Interesse an dem Angebot der Klassik Stiftung Weimar wurde geweckt, als mich Frau Felser-Friedrich im Rahmen der Begabtenförderung auf das Programm aufmerksam machte.
Bereits die Unterbringung der Teilnehmer fügt sich in das Gesamtbild: Wir verbrachten die beiden Wochen im Wielandgut Oßmannstedt, dem ehemaligen Wohnsitz von Christoph Martin Wieland, der an der Seite Goethes, Schillers und Herders die Weimarer Klassik formte. An diesem geschichtsträchtigen Ort fand jedoch nur ein Teil des Programms statt: In Seminarsitzungen besprachen wir Themen wie die Entstehung des Epochenbegriffs der Klassik, das Familienbild um 1800 und bestritten die gemeinsamen Lektüreabende mit Heines „Reisebildern“. Das übrige Programm fand in Weimar selbst statt, in zahlreichen Exkursionen besuchten wir die üblichen Höhepunkte: Die Wohnhäuser Goethes und Schillers und die Anna-Amalia-Bibliothek – aber auch einige verstecktere und kleinere Orte des historischen Wirkens: das Römische Haus im Ilmpark und das neugebaute Studienzentrum mit angrenzender Bibliothek.
Der wohl denkbarste Tag war der Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald, der zwar ganz unter der Prämisse „sachliche Fakten statt größtmöglicher Schock“ stand und dennoch, vielleicht gerade durch die sachliche Objektivität, Anreize zum individuellen Weiterdenken gab. Direkt im Anschluss an die Gedenkstätte machten wir uns auf den Weg zum Schloss Ettersberg, das Teil des Weimarer Musenhofes war und Entstehungsort für die „Maria Stuart“ von Schiller. Das malerisch schöne Schloss liegt kaum zwei Kilometer von dem ehemaligen Konzentrationslager entfernt. Im wundervollen weißen Stucksaal des Schlosses besprachen wir unsere Eindrücke.
Das Ziel der zwei Wochen Seminar war die Erstellung einer eigenen Abschlusspräsentation, die man dann im Rahmen einer Führung an einer historischen Stätte absolviert. In meiner Kleingruppe haben wir uns dazu entschieden, drei Porträts der großen Weimarer Fürstinnen auf ihre ikonographischen Eigenheiten zu vergleichen. Zu unserem Handwerkszeug gehörten allerdings nicht nur frontale Monologe, sondern auch schauspielerische und inszenierte Elemente. An das methodische Agieren mit Rollenspielen und Publikumsaufgaben konnten wir uns vorher in theater- und kunstpädagogischen Kurseinheiten gewöhnen. Daher haben wir unseren Ansatz gefunden, die drei Fürstinnen Anna Amalia, Luise und Maria Pawlowna zu theatralischem Leben zu erwecken: Als Museumsbesucher wurden wir von den drei historischen Personen vor ihren Abbildern empfangen. Mit diesen Präsentationen und einer großen Abschlussfeier klangen dann die 14 Tage in gemeinsamer Runde aus.
Nach den zwei Wochen in Weimar hat sich für alle Teilnehmer das Kulturempfinden geändert: Wir haben gelernt, dass Kultur im öffentlichen Raum immer noch lebendig ist und einen Auftrag an uns darstellt, die Stätten des kulturellen Empfindens aufrechtzuerhalten. Es kommt nicht darauf an, wie alt die Bühnen, Bilder, Bücher sind, um für meine eigene Lebenswelt darin noch lebendige Bezüge und aktuelle Lehren zu finden. Denn bereits das anfängliche Zitat über die Schönheit Weimars stimmt heute genauso wie vor 200 Jahren.
Johannes Leitgeb