
Am 2. Juli 2025 hielt Dr. Anja Zorob, bis Herbst 2024 für mehr als fünf Jahre Gastprofessorin für Politikwissenschaft an der Birzeit Universität in Palästina, einen eindrucksvollen Vortrag für die 11. Klassen und einen Q12-Geschichtskurs. Im Zentrum stand die gewaltsame Realität der israelischen Besatzung in den palästinensischen Gebieten, die sie aus wissenschaftlicher wie persönlicher Perspektive beleuchtete. Dabei zeichnete sie ein klares Bild von einem Besatzungssystem, das die grundlegenden Rechte und das tägliche Leben von Millionen von PalästinenserInnen massiv einschränkt – und von einer politischen Realität, in der Gewalt, Kontrolle und Diskriminierung den Alltag bestimmen. Anschließend blieb noch etwas Zeit für eine kurze Diskussion.

Frau Zorob berichtete von ihren Erfahrungen als Hochschullehrerin an der Birzeit Universität oberhalb von Ramallah im Westjordanland, von den zahlreichen Zugangs- und Bewegungsbeschränkungen der palästinensischen Bevölkerung unter israelischer Besatzung, von Checkpoints, willkürlichen Inhaftierungen ihrer StudentInnen, der Abriegelung von Wohngebieten und landwirtschaftlichen Nutzflächen und dem völkerrechtswidrigen Siedlungsbau auf palästinensischem Boden. Die israelische Armee und radikale Siedler greifen dort im Schatten des Gaza-Kriegs mit einer nie dagewesenen Schärfe der Gewalt ein. Menschen würden „nachts aus dem Bett gezerrt“, ohne Anklage in der sog. Administrativhaft festgehalten, Häuser dem Erdboden gleichgemacht und zeitgleich mit dem kurzlebigen Inkrafttreten des Waffenstillstands in Gaza Mitte Januar 2025 Zehntausende Menschen aus mehreren Flüchtlingslagern im Westjordanland vertrieben. Dr. Zorob schließt sich ihren palästinensischen und internationalen KollegInnen ebenso wie Menschenrechts- und zivilgesellschaftlichen Organisationen an, welche diese Art der Diskriminierung als „Apartheid“ und die systematische Vertreibung der PalästinenserInnen als Teil des israelischen „Siedlerkolonialismus“ bezeichnen.

Besonders eindrücklich schilderte Frau Zorob die Lage im Gazastreifen, wo der israelische Krieg nach dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 mit 1200 Toten verheerende Ausmaße angenommen hat. Dort radiert die israelische Armee nach ihren Worten ganze Stadtteile aus, zerstört gezielt medizinische Einrichtungen, Schulen und Universitäten und greift oft auch von der Armee selbst als „safe-zones“ ausgewiesene Gebiete an. Infolge einer so gut wie vollständigen Blockade von Lebensmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten hungert die Bevölkerung und kann nicht mehr annähernd ausreichend medizinisch versorgt werden. Dazu zählt auch der Stopp aller Zulieferungen von Babynahrung und dessen unausdenkbare Folgen für die ohnehin schon unterernährten Säuglinge. Inzwischen hat die Hungersnot die höchste Stufe (IPC 5) erreicht, was akute Lebensgefahr für Hunderttausende bedeutet. Auch die Militarisierung von Hilfsgütern kritisierte Dr. Zorob scharf, da an den wenigen Verteilstationen der US-amerikanischen und von Israel unterstützten Gaza Humanitarian Foundation „täglich Dutzende Menschen bei der Suche nach Lebensmitteln gezielt von israelischen Soldaten erschossen“ würden. Insgesamt seien seit Beginn des Kriegs über 60.000 Menschen, darunter 70% Frauen und Kinder, getötet worden, wobei die Dunkelziffer laut Experten deutlich größere Dimensionen erreiche. In diesem Kontext sprach Frau Zorob auch von einem möglichen „Völkermord“ in Gaza, dessen Merkmale laut vieler internationaler Beobachter, darunter selbst israelische Menschenrechtsorganisationen und Holocaustforscher, erfüllt seien.

In der anschließenden Diskussionsrunde kamen Schülerinnen und Schüler zu Wort. Sie thematisierten unter anderem die verzerrte Darstellung der Ereignisse in deutschen Medien, aber auch Deutschlands Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk und dem Staat Israel sowie den Umgang mit Israelkritik. Abschließend wurde die Forderung nach mehr internationalem diplomatischem Druck und einem Waffenembargo der EU Mitgliedstaaten gegen Israel deutlich, um ein Ende des mutmaßlichen Völkermords zu bewirken. Die Debatte zeigte, wie wichtig offene Räume politischer Bildung sind, besonders dann, wenn es um universelle Menschenrechte geht.
Dr. Zorobs Vortrag war für viele Zuhörende ein bewegender Denkanstoß, bot eine fundierte Analyse der systematischen Unterdrückung in Palästina und zeigte zugleich, wie wichtig der offene, respektvolle Diskurs über emotionale und kontroverse Themen in einer demokratischen Gesellschaft ist.
Hani Allam, 11d
